montblanc starwalker

von Werner Rohner

Geschichte über Schreiben "Montegrappa"

Ich sehe, Sie interessieren sich für den Montegrappa – ein Klassiker. Dann sind Sie wahrscheinlich Schriftsteller oder Schriftstellerin. Oder wollen es werden. Es wäre jedenfalls schade, mit so einer Feder nur Unterschriften unter Verträge zu setzen. Ja, mit so einer Feder lässt es sich um die Welt reisen und etwas von dem festhalten, was kein Foto abbilden kann. Sie trägt, was ganz innen ist, gegen aussen. Denn mit so einer Feder lässt sich nicht nur die Welt beschreiben, mit so einer Feder lässt sich eine ganz neue Welt erfinden. 

Aber das wissen Sie sicher selbst. Ja, nehmen Sie den Montegrappa ruhig mal in die Hand. Sie wissen ja, ein beträchtlicher Teil der Weltliteratur geht auf eine solche oder ähnliche Federn zurück. Das meiste, was jetzt so gross klingt, hat wahrscheinlich klein begonnen, mit einem Buchstaben, ein paar Wörtern und vielen Fragezeichen. 

Aber sicher nicht mit Bleistift, den man einfach wieder ausradieren kann. Oder gar mit Kugelschreiber – als würde man eine Einkaufsliste hinkritzeln. Nein, Leute, die nicht denken, dass das, was sie schreiben, von Bedeutung ist, legen sich keine solche Feder zu. 

Natürlich, Selbstzweifel hat jeder und jede; und wenn die auch Antrieb für vieles sein mögen, reichen sie meist nicht aus, um Grosses zu schaffen.

Deshalb, wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, werfen Sie diese gleich zusammen mit allen Bleistiften und Kugelschreibern weg. Auch Computer braucht doch kein Mensch.

Ist Ihnen das jetzt ein bisschen zu radikal – dann sind Sie vielleicht noch nicht reif für einen Montegrappa. Aber jetzt nehmen Sie doch erstmal die Kappe ab. Schreiben Sie ein paar Zeilen. Ein Haiku vielleicht? Es muss ja nicht gleich für die Ewigkeit sein. 

Oder eben doch. Ja, wenn Sie wirklich Schriftstellerin oder Schriftsteller sind oder werden wollen, dann ist ein klitzekleiner Grössenwahn beinahe Pflicht. 

Aber keine Angst, für den Fall, dass Sie den nicht schon von Natur aus mitbringen, hier eine kleine Lektion im Grössenwahn für Anfänger und Anfängerinnen, aber auch für Fortgeschrittene. Ich muss sie mir selbst immer wieder erteilen.

 1.     Gott spielen 

Als Schriftstellerin oder Schriftsteller ist es wichtig, alles, was man nicht selbst geschrieben hat, fürchterlich schlecht zu finden. Das ist nicht immer einfach, vor allem in jungen Jahren schart man gern ein paar Götter und Göttinnen um sich. Und wird sie dann erst mit viel Aufwand wieder los. Selbst heute noch, wenn es sich nicht vermeiden lässt, dass ich ein Buch lese (dazu später mehr), trifft es mich manchmal wie – trifft es mich tief, so verdammt gut, also gut geschrieben, ist es. 

Doch das geht vorbei, da muss man durch, bis man auch in diesem Buch etwas entdeckt, das wirklich, wirklich schlecht ist. Kann man trotz noch so unfairer Lesarten nichts finden, bleibt es trotz anhaltender Voreingenommenheit immer noch perfekt, in sich geschlossen wahr, muss man ihm genau diese Perfektion zum Vorwurf machen: Dann ist es einfach zuperfekt! 

Natürlich wird das eigene Schreiben dadurch meist nicht besser. Oft erkennt man in den Büchern der anderen gar die eigenen Ansätze wieder, nur ausgereifter, weiter gedacht, bis ins letzte Detail ausgearbeitet. Es gilt dann herauszufinden, warum das Eigene doch anders ist, wie es noch mehr anders werden könnte, und weshalb man doch die oder der Beste ist; oder sagen wir: das Potenzial dazu hat. 

Denn genau um diesen Größenwahn geht es: Er ist unabdingbar fürs Schreiben. Man muss sich schon selbst Flügel verleihen, wenn man fliegen will. Energy-Getränke sind da wenig hilfreich. Auch Alkohol oder sonstige Drogen bringen – trotz aller Mythen – keinen Auftrieb. Für Höhenflüge empfehle ich Größenwahn – und Federn. Natürlich auch Federn. 

Den einen oder anderen Absturz werden Sie trotzdem nicht überleben (zum Beispiel, wenn Sie plötzlich nicht mehr unterscheiden können zwischen dem Geschriebenen und der Erinnerung; oder wenn Sie Jahre an einem Manuskript arbeiten, um es am Ende nicht einmal mehr gut genug für die Schublade zu finden), aber dann erinnern Sie sich einfach an Ihre Überlebensgrösse und stehen wieder auf.

Man muss sich nur genug Zeit lassen. Darf halt mal für ein paar Jahre keine Freunde treffen. Keine Serien schauen. Das Internet nicht benutzen. Ja, ich gebe es zu, neben Einsamkeit und Grössenwahn braucht es auch noch ein kleines bisschen Disziplin. Dazu Schöpfungsgeist. Und vielleicht noch die Welt (mit der eigenen Erfindung) verändern wollen und glauben, man richte damit nicht nur Schaden an. Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen zum Schreiben. Wenn man sich nicht selbst zum Gott erklärt, tut es niemand. 

 2.     Immer aufhören 

Gehen wir einmal davon aus, dass Sie meinen Ratschlägen gefolgt sind. Sie sich also wie eine Göttin mit Ihrem Montegrappa fühlen. Ja, jetzt fliesst Ihnen die Tinte nur so aufs Papier, alles erscheint gelungen, Sie erhalten Applaus, man lobt Ihre Texte, bietet Ihnen Vorschüsse an, sogar Sie selbst sind mit ihren Texten zufrieden. Was machen Sie dann? Schreiben Sie einfach weiter? Mit demselben Montegrappa gar? Oder leisten sie sich bei jedem Vorschuss, jedem Literaturpreis einen neuen Füllfederhalter? Legen sofort wieder los. 

Natürlich, das Schreiben hält einen auf eine angenehme Art vom Denken ab (oder verlangsamt es zumindest). Trotzdem sollte man sich von Zeit zu Zeit fragen, ob man nicht besser Schluss machen würde. Es ist wie mit einer guten Beziehung: Wer sich nicht ab und zu fragt, ob es jetzt nicht reicht, der gibt sich keine Mühe mehr. Und Schreiben ist immer Mühe, Schreiben ist immer auch Arbeit. Da kann der Füllfederhalter noch so gut sein, da kann die Hand mit der Feder noch so leicht über das Papier fliegen. Es geht ja hier nicht um Kalligraphie. Kein Satz, nicht der kürzeste, schreibt sich wirklich von alleine (und immer macht ein Satz allein keinen Sinn, ist aber gleichzeitig der einzige, der erste, den man denken kann). Da hilft auch die Eingebung nicht weiter, sie reicht selten über ein paar Zeilen hinaus, oft verflüchtigt sie sich schon beim Versuch, sie in Worte zu fassen. 

Das Schreiben hilft nicht einmal dabei, Dinge zu verarbeiten; es hält einen höchstens davon ab, über die Dinge wirklich nachzudenken. Bestenfalls hat dieses dumpfe Gefühl der Besinnungs- oder Gefühllosigkeit durch das Schreiben noch etwas länger Bestand, aber irgendwann hilft auch das Schreiben nicht mehr: Mehr als Aufschub leistet es nie. Wenn man nicht gerade sehr unglücklich ist, macht es auch selten glücklicher. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Sie sollen jetzt nicht gleich schon wieder aufhören zu schreiben, aber Sie sollten das Aufhören von Zeit zu Zeit in Erwägung ziehen. Schreiben ist nicht wie Atmen, man kann ganz gut ohne Schreiben leben, die meisten tun es. (Und wenn es Ihnen um Ihren Montegrappa leidtut, dann schreiben Sie doch endlich mal wieder einen Brief.)

 3.     Lernen verlernen

Wie die meisten Kinder in der Deutschschweiz habe auch ich jeweils lernä und lehrä verwechselt. Und genauso wird Schreiben oft mit Lesen verwechselt. Doch wer gerne liest, soll Lektorin, nützliches Mitglied der Gesellschaft, allenfalls Leserbriefschreiber werden (dafür reicht aber meist auch ein Kugelschreiber). Auch Wortverliebte sollen, anstatt zu schreiben, lieber Lexika betreuen, sie nehmen die Wörter zu ernst. Wörter sind immer ungenau, oft braucht man Tausende davon, um ein einziges Gefühl zu beschreiben, beziehungsweise ist es beinahe so, je weniger Gefühle man aufs Mal beschreiben will, je isolierter man ein Gefühl vermitteln will, desto mehr Worte benötigt man dazu. (Nicht einfache wie Liebe oder Hass, aber solche, für die es noch gar keinen Namen gibt und die seltener vorkommen, sowohl beim Einzelnen, als auch bei den Menschen überhaupt. Selbst etwas so Einfaches wie Mundgeruch ist mit einem einzigen Wort nicht spürbar zu machen, es referiert bloss auf Erfahrungen der Lesenden, anstatt neue zu erzeugen.) Und doch ist jedes einzelne Wort wichtig und nicht beliebig, aber einzeln – losgelöst von den anderen – bedeutungslos. Doch egal, wie viele Wörter man bemüht: Schreiben wie Sprechen heißt immer lügen. Möglich, dass der Zweck die Mittel heiligt. Aber nur aus einem Grund, dass es nämlich genau diese Mittel sind, die am besten, vielleicht sogar als einzige, den Zweck erfüllen können. 

Wenn man trotzdem liest, sollte man immerhin darauf achten, dass man nicht liest, um daraus zu lernen. Lesen, um daraus zu lernen, ist wie Abschreiben in der Schule: Es ist zwar der beste Weg, gute Noten zu bekommen, vor allem, wenn man beim Klassenprimus abschreibt und sich nur dann etwas Eigenes traut, wenn man ganz sicher ist, dass der sich irrt. Aber, wie schon mein Klassenlehrer immer gesagt hat: Man betrügt sich damit nur selbst. Klar, die Chancen stehen gut, dass man lobende Kritiken dafür einheimst (viele sogar, weil ja auch Kritiker gern von Kritikerinnen abschreiben und weil die Leser, wie die Lehrerinnen, es nicht merken); aber es ist unbefriedigend. Und wenn man es dennoch einmal nicht lassen kann, soll man es machen wie Kinder, die fremdsprachige Popmusik hören: nie auf den Text achten, einfach nur die Melodie mitsummen und eigene Wörter dazu erfinden. 

 4.     Mittelmass leben

Haben Sie das auch schon gehört: Man muss erst leben, bevor man schreiben kann. Das ist doch Unsinn. Was haben die Leute, die so etwas sagen, denn bitteschön gemacht, als sie jung waren? Gelesen?

Ich sage: Abstand ist nichts, Jetzt ist alles. Und doch denke auch ich manchmal: Es ist noch viel zu früh für dieses eine bestimmte Buch. (So wie es manchmal für eine bestimmte Feder zu früh sein kann.) Es könnte ein großes werden, aber noch bin ich nicht gut genug. Und vor allem: Vielleicht werde ich noch erleben, worüber ich schreiben will, und das würde es vereinfachen, aber auch zu einem anderen Buch machen. 

Es hat aber auch Vorteile, wenn man statt des gelebten Lebens das ungelebte fürs Schreiben nutzt. Es hindert einen daran, die eigenen Fantasien auszuleben. Nichts ist schlimmer als ausgelebte Fantasien, die womöglich auch noch schöner sind als vorgestellt, aber eben – im Gegensatz zu den Fantasien – vorübergehen. Außerdem, wo kann man sich schon für jede Person ein eigenes Lachen aussuchen und für sich selbst ein neues Leben, immer wieder. Sie sehen, das Schreiben hat durchaus auch Vorteile. 

Allerdings sollte man ein bisschen Fantasie auch nicht gleich mit dem Leben für das Schreiben verwechseln, denn darin liegt ebenfalls ein Irrtum. Es funktioniert nicht einmal dann, wenn man es wollte (außerdem verstehe ich gar nicht, wie man das Leben für irgendwas anderes hergeben will). Nicht weil man dann nichts erleben würde, sondern weil man immer schon während des Erlebens filtert, sogar die Fantasien, und das macht das Ganze sehr eintönig. Filtern dürfen Sie erst während des Schreibens, manchmal auch erst bei der zweiten Fassung, da müssen Sie sogar. (Aus demselben Grund sollte man sein Schreiben nie zu früh jemandem zum Lesen geben, sonst kann es sein, dass die Richtung allein schon durch das Zeigen zu sehr vorgegeben wird. Zeigen Sie Ihren Füllfederhalter, aber halten Sie sich mit dem Text zurück, egal, wie schön Ihre Handschrift ist.) Es ist also so, dass es gar nichts hilft, sich für das eine oder andere zu entscheiden, denn mit dem Schreiben und dem Leben ist es wie mit dem Regen und dem Himmel. Man sieht den Regen im Himmel nur, wenn es einen Hintergrund gibt, der nicht nur aus Himmel besteht.

 5.     Gott verbessern

Im Spitzensport wird schon lange davon gesprochen, dass es irgendwann nicht mehr möglich ist, mehr zu trainieren. Natürlich hilft Technik, was für die einen die neuen Schuhe sind, ist für Sie der neue Montegrappa. Aber noch wichtiger ist, wer zwischen dem Training besser regenerieren kann. 

Doch wieso überhaupt trainieren, wenn ich davon ausgehe, dass ein Text immer schon vollendet ist, so wie die Welt von Anfang an vollendet war und sich dennoch immer verändert. Diesen Widerspruch gilt es zu verfeinern, abzurunden, ihm schlussendlich zu widersprechen. Ausserdem gilt es den Leser und die Leserin glauben zu machen, es gäbe einen nicht (weil jeder Autor und jede Autorin, die mehr als fiktiv sind, stören). Und als wenn das nicht schon genug Arbeit wäre, kommt für die meisten noch das Geldverdienen hinzu, und deshalb auch noch ein Brotjob, dazu das „Nur-Leben“ und andere Störfaktoren (die nie Ausrede sein dürfen). Doch nicht nur kann man als Schreibender das mit der Ruhe am siebten Tag gleich vergessen, man ist auch beim Schreiben selbst nie ungestört, immer schauen einem die Götter und Göttinnen – die von früher und die heimlichen, die man erst gestern wider besseres Wissen neu erkoren hat – beim Schreiben über die Schulter. Eine besser als der andere und einer weiß es besser als die andere, sie können nicht still sein. Immer wieder rufen sie Dinge wie klischiert, pubertär, eitel, gestelzt, keine Musik, dumm und langweilig, Arschloch! rein. Fallen sich gegenseitig ins Wort, bezichtigen sich auch mal des Plagiats, streiten gar über Fußball, Schuhe und Federn; das Einzige, worin sie sich einig sind, ist, dass der Text, den man gerade schreibt, fürchterlich, ja ungeheuerlich schlecht ist. 

Ich weiß zwar inzwischen, sie sind bloß voreingenommen, erkennen ihre eigenen, veralteten Versuche in meinem Text wieder, nur weiter gedacht, in sich geschlossen wahr, perfekt. Dennoch lese ich alles noch einmal und noch einmal durch, schlage ähnliche Texte nach, überprüfe meinen auf Fantasie, auf das Leben und das Unmögliche; verwerfe alles wieder, in ganzen dunklen Stunden wechsele ich sogar zu Bleistift, wenn ich noch einen finde; mache es grundsätzlich anders, noch mehr anders, denn wenn ich schon weiter schreibe, will ich es gefälligst besser machen als die Götter und Göttinnen, das eitle Pack.

Verzeihen Sie, jetzt ist der Grössenwahn ein wenig mit mir durchgegangen. Ja, nicht alle sind dem Montegrappa gewachsen. Vielleicht ist Hemingway deshalb auf die Schreibmaschine umgestiegen – aber das heisst ja noch lange nicht, dass sie diese Feder nicht in den Griff bekommen.